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Geschichten |
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Der Fischer und seine Seele |
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Jeden Abend fuhr der junge Fischer hinaus auf das Meer und warf seine Netze ins Wasser. Wenn der Wind vom Land her wehte, fing er nichts oder nur wenig, denn es war ein bitterer Wind mit schwarzen Schwingen, und schwere Wellen bäumten sich ihm entgegen. Doch wenn der Wind zur Küste hin wehte, kamen die Fische aus der Tiefe herauf und schwammen in die Maschen seiner Netze, und er trug sie zum Markt und verkaufte sie. Jeden Abend fuhr er hinaus auf das Meer, und eines Abends war das Netz so schwer, dass er es kaum ins Boot ziehen konnte. Und er lachte und sprach bei sich selber: »Sicherlich habe ich alle Fische gefangen, die schwimmen, oder eines der trägen Ungeheuer, über die die Leute sich wundern werden, oder sonst einen Gegenstand des Grauens, wonach die große Königin verlangen wird«, und er nahm alle Kraft zusammen und zog an den groben Tauen, bis die langen Adern an seinen Armen hervortraten wie Linien von blauem Email auf einem Bronzegefäß. Er zog an den dünnen Tauen, und näher und näher kam der Ring aus flachen Korken, und endlich stieg das Netz an die Oberfläche des Wassers. Aber kein Fisch war darin, auch kein Ungeheuer noch ein Gegenstand des Grauens, sondern nur eine kleine Meerjungfrau, die fest schlief. Ihr Haar war wie ein feuchtes Vlies aus Gold, und jedes einzelne Haar wie ein Faden aus lauterem Gold in einer gläsernen Schale. Ihr Leib war wie weißes Elfenbein, ihr Schwanz aus Silber und Perlmutt. Aus Silber und Perlmutt war ihr Schwanz, und grüner Seetang schlang sich darum; und wie Seemuscheln waren ihre Ohren und ihre Lippen wie Meerkorallen. Die kalten Wogen schlugen über ihre kalten Brüste, und das Salz glitzerte auf ihren Augenlidern. So schön war sie, dass der junge Fischer bei ihrem Anblick von Staunen erfüllt wurde, und er streckte seine Hand aus und zog das Netz nahe zu sich heran, lehnte sich über den Bootsrand und umfasste sie mit seinen Armen. Und als er sie berührte, stieß sie einen Schrei aus wie eine aufgescheuchte Möwe, erwachte und blickte ihn mit malven- und amethystfarbenen Augen voll Entsetzen an und wand sich, um ihm zu entkommen. Er aber drückte sie fest an sich und wollte sie nicht von sich lassen. Und da sie merkte, dass sie ihm auf keine Art entfliehen konnte, fing sie an zu weinen und sprach: »Ich bitte dich, lass mich gehen, denn ich bin eines Königs einzige Tochter, und mein Vater ist alt und einsam.« Aber der junge Fischer antwortete: »Ich lasse dich nicht gehen, es sei denn, du gibst mir das Versprechen, dass du kommst, wann immer ich dich rufe, und für mich singst, denn die Fische lauschen gern dem Gesang des Meervolks, und so werden meine Netze sich füllen.« »Wirst du mich wahrhaftig gehen lassen, wenn ich dir das verspreche?« rief die Meerjungfrau. »Ich werde dich wahrhaftig gehen lassen«, sagte der junge Fischer. So gab sie ihm das Versprechen, das er verlangte, und beschwor es mit dem Eid des Meervolks. Und er löste seine Arme von ihrem Leib, und sie sank nieder ins Wasser und erzitterte in fremdartiger Furcht. Jeden Abend fuhr der junge Fischer hinaus auf das Meer und rief nach der Meerjungfrau, und sie stieg aus dem Wasser und sang für ihn. Rund um sie herum schwammen die Delphine, und die wilden Möwen kreisten über ihrem Kopf. Und sie sang ein herrliches Lied. Denn sie sang vom Meervolk, das seine Herden von Höhle zu Höhle treibt und die kleinen Kälber auf der Schulter trägt; von den Tritonen mit langen, grünen Bärten und einer behaarten Brust, die in gewundene Muschelhörner blasen, wenn der König vorbeizieht; vom Palast des Königs, der ganz aus Bernstein ist, mit einem Dach aus klarem Smaragd und einem Boden aus strahlenden Perlen; und von den Gärten der See, wo die großen Filigranfächer der Korallen den ganzen Tag auf und nieder wallen und die Fische umherflitzen gleich silbernen Vögeln und die Anemonen sich an den Felsen schmiegen und in geribbtem, gelbem Sand die Nelken knospen. Sie sang von den Sirenen, die von so herrlichen Dingen sagen, dass die Kaufleute ihre Ohren mit Wachs verstopfen müssen, damit sie sie nicht hören und ins Wasser springen und ertrinken; von den versunkenen Galeeren mit ihren hohen Masten, und den erfrorenen Matrosen, die sich ans Takelwerk klammern, und den Makrelen, die durch die offenen Bullaugen aus und ein schwimmen; von den kleinen Entenmuscheln, die große Reisen machen, sich an die Kiele der Schiffe heften und rund um die weite Welt fahren; und von den Tintenfischen, die an den Rändern der Klippen leben und ihre langen schwarzen Arme ausstrecken und Nacht machen können, wann sie wollen. Sie sang vom Nautilus, der ein eigenes Boot hat, aus einem Opal geschnitzt und gesteuert mit einem seidenen Segel; von den glücklichen Meermännern, die auf der Harfe spielen und den großen Kraken in Schlaf zaubern können; von den kleinen Kindern, die die glitschigen Meerschweinchen einfangen und lachend auf ihren Rücken reiten; von den Meerjungfrauen, die im weißen Gischt liegen und ihre Arme ausstrecken nach den Matrosen; von den Seelöwen mit ihren krummen Fangzähnen und von den Seepferden mit ihren dahin treibenden Mähnen. Und wie sie so sang, kamen alle die Thunfische aus der Tiefe herauf, um
ihr zu lauschen, und der junge Fischer warf seine Netze um sie und fing
sie, und andere erlegte er mit dem Speer. Und wenn sein Boot wohlgeladen
war, sank die Meerjungfrau hinab ins Meer und lächelte ihm zu. Niemals
jedoch kam sie ihm so nahe, dass er sie hätte berühren können. Oft rief er
sie und flehte sie an, aber sie kam nicht; und wenn er sie zu fassen
suchte, tauchte sie wie eine Robbe ins Wasser und ließ sich den ganzen Tag
nicht mehr sehen. Und jeden Tag wurde der Klang ihrer Stimme seinen Ohren
süßer. So süß war ihre Stimme, dass er seiner Netze und seiner List vergaß
und sich nicht kümmerte um sein Handwerk. Mit zinnoberroten Flossen und
Augen aus gebuckeltem Gold schwammen die Thunfische in Scharen vorbei, er
aber beachtete sie nicht. Müßig lag der Speer an seiner Seite, und seine
Körbe aus Weidengeflecht blieben leer. Mit offenem Mund und vor Staunen
dunklen Augen saß er reglos in seinem Boot und lauschte und lauschte, bis
die Seenebel um ihn krochen und der wandernde Mond seine braunen Glieder
silbern färbte. Früh am nächsten Morgen, bevor die Sonne die Spanne einer Manneshand hoch über dem Hügel stand, ging der junge Fischer zum Haus des Priesters und klopfte dreimal an die Tür. Der Novize schaute durchs Guckloch heraus, und als er sah, wer es war, schob er den Riegel zurück und sprach: »Tritt ein.« Und der junge Fischer trat ein und kniete auf den süß duftenden Binsen des Bodens nieder und rief den Priester an, der aus der Heiligen Schrift las, und sprach zu ihm: »Vater, ich liebe eine aus dem Meervolk, und meine Seele hindert mich, nach meiner Lust zu tun. Sag mir, wie ich meine Seele von mir sende, denn fürwahr, ich bedarf ihrer nicht. Welchen Wert hat meine Seele für mich? Ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht berühren. Ich kenne sie nicht.« Und der Priester schlug sich die Brust und antwortete: »Wehe, wehe, dein Geist ist irr, oder du hast von giftigen Kräutern gegessen; denn die Seele ist des Menschen edelster Teil, uns von Gott gegeben, auf dass wir uns ihrer in edler Weise bedienen. Kein kostbarer Ding ist als eine menschliche Seele, nichts Irdisches kann sie aufwiegen. Alles Gold ist sie wert, das in der Welt ist, wertvoller ist sie als die Rubine der Könige. Deshalb, mein Sohn, denk nicht weiter daran, denn dies ist eine Sünde, die nicht vergeben wird. Und was das Meervolk anlangt, so sind sie alle verloren, und verloren ist, wer Umgang pflegt mit ihnen. Sie sind wie die Tiere des Feldes, die nicht das Gute vom Üblen scheiden, und für sie ist der Herr nicht gestorben.« Als er die bitteren Worte des Priesters hörte, füllten die Augen des jungen Fischers sich mit Tränen, und er erhob sich von den Knien und sprach zu ihm: »Vater, die Faune leben im Wald und sind froh, und auf den Klippen sitzen die Meermänner mit ihren Harfen aus rotem Gold. Lass mich sein wie sie, ich flehe dich an, denn ihre Tage sind wie die Tage der Blumen. Und meine Seele, was nützt sie mir, wenn sie zwischen mir steht und dem, was ich liebe?« »Nichtswürdig ist die Liebe des Leibes«, rief der Priester und zog die Brauen zusammen, »und verächtlich und böse sind die heidnischen Wesen, die Gott durch Seine Welt wandern lässt. Fluch über die Faune des Waldes, und Fluch über die Sänger des Meeres! Zur Nachtzeit habe ich sie gehört, und sie haben mich von meinem Rosenkranz wegzulocken gesucht. Sie klopfen ans Fenster und lachen. Ins Ohr raunen sie mir die Mär ihrer verderblichen Wonnen. Sie versuchen mich mit Versuchungen, und wenn ich bete, schneiden sie mir Fratzen. Verloren sind sie, sage ich dir, sie sind verloren. Für sie gibt es weder Himmel noch Hölle, und weder da noch dort sollen sie den Namen Gottes preisen.« »Vater«, rief der junge Fischer, »du weißt nicht, was du sagst. Einmal fing ich eine Königstochter in meinem Netz. Sie ist schöner als der Morgenstern und weißer als der Mond. Für ihren Leib will ich meine Seele hingeben, und für ihre Liebe den Himmel abtreten. Sage mir, worum ich dich bitte, und lass mich in Frieden ziehen.« »Hinweg! Hinweg!« schrie der Priester. »Deine Buhle ist verloren, und du sollst mit ihr verloren sein.« Und er gab ihm keinen Segen, sondern jagte ihn von seiner Tür. Der junge Fischer ging hinunter auf den Marktplatz, und er ging langsam, mit gebeugtem Kopf, wie jemand, der ein Leid trägt. Und als die Kaufleute ihn kommen sahen, begannen sie, miteinander zu tuscheln, und einer von ihnen ging ihm entgegen und rief ihn beim Namen und sprach zu ihm: »Was hast du zu verkaufen?« »Ich will dir meine Seele verkaufen«, antwortete er. »Ich bitte dich, kauf sie mir ab, denn ich bin ihrer müde. Was nützt mir meine Seele? Ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht berühren. Ich kenne sie nicht.« Aber die Kaufleute verhöhnten ihn und sprachen: »Was nützt denn uns eines Menschen Seele? Keine gekippte Silbermünze ist sie wert. Verkaufe uns deinen Leib als Sklave, und wir wollen dich in Seepurpur kleiden und einen Ring an deinen Finger stecken und dich zum Liebling der großen Königin machen. Aber rede uns nicht von der Seele, denn uns ist sie ein Nichts, noch besitzt sie Wert für unser Geschäft.« - Der junge Fischer sprach bei sich selber: »Wie seltsam! Der Priester sagt, die Seele sei alles Gold der Welt wert, und die Kaufleute sagen, sie sei weniger wert als eine gekippte Silbermünze.« Und er verließ den Marktplatz und ging hinunter ans Gestade des Meeres und begann zu überlegen, was er tun sollte. Zu Mittag fiel ihm ein, wie einer seiner Gefährten, der ein Sammler
von Meerfenchel gewesen, ihm von einer jungen Hexe erzählt hatte, die am
Ende der Bucht in einer Höhle wohnte und in Hexenkünsten sehr beschlagen
war. Und er machte sich auf und rannte, so begierig war er, seine Seele
loszuwerden, und wie er rund um das Ufer der Bucht lief, folgte ihm eine
Staubwolke. Am Jucken ihrer hohlen Hand erriet die junge Hexe, dass er kam,
und sie lachte und löste ihr rotes Haar. Umwallt von ihrem roten Haar
stand sie am Eingang der Höhle, und in der Hand hielt sie einen blühenden
Zweig von wildem Schierling. »Was brauchst? Was brauchst?« rief sie, als
er keuchend den Abhang heraufkam und sich vor ihr neigte. »Fische für dein
Netz, wenn der Wind flau ist? Ich habe eine kleine Rohrpfeife, und wenn
ich darauf blase, kommen die Meeräschen in die Bucht gezogen. Aber sie hat
ihren Preis, schöner Knabe, sie hat ihren Preis. Was brauchst? Was
brauchst? Einen Sturm, der die Schiffe scheitern lässt und Kisten voll
reicher Schätze ans Land spült? Ich habe mehr Stürme als der Wind, denn
ich diene einem, der stärker ist als dieser, und mit einem Sieb und einem
Eimer Wasser kann ich die großen Galeeren in den Meeresgrund schicken.
Aber es hat seinen Preis, schöner Knabe, es hat seinen Preis. Was
brauchst? Was brauchst? Ich weiß eine Blume, die blüht im Tal, keiner
kennt sie, nur ich. Purpurne Blätter hat sie und einen Stern im Herzen,
und ihr Saft ist weiß wie Milch. Berührtest du mit dieser Blume die harten
Lippen der Königin, durch die ganze Welt würde sie dir folgen. Heraus aus
dem Bett des Königs würde sie steigen, und durch die ganze Welt würde sie
dir folgen. Und das hat seinen Preis, schöner Knabe, das hat seinen Preis.
Was brauchst? Was brauchst? Ich kann eine Kröte im Mörser zerstampfen und
Brühe daraus machen, und die Brühe rühren mit der Hand eines Toten.
Sprenge sie auf deinen Feind, wenn er schläft, und er wird zu einer
schwarzen Natter werden, und seine eigene Mutter wird ihn erschlagen. Mit
einem Rad kann ich den Mond vom Himmel ziehen und in einem Kristall dir
den Tod zeigen. Was brauchst? Was brauchst? Sag mir, was du begehrst, und
ich will es dir geben, und du sollst mir einen Preis zahlen, schöner
Knabe, sollst mir einen Preis zahlen.« Die Hexe erbleichte und schauerte und verbarg ihr Gesicht in ihrem blauen
Umhang. »Schöner Knabe, schöner Knabe«, murmelte sie, »furchtbar ist, was
du tun willst.« Er schüttelte seine braunen Locken und lachte. »Meine Seele achte ich für
nichts«, erwiderte er. »Ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht
berühren. Ich kenne sie nicht.« Die Hexe sah ihm nach, wie er ging, und als er ihr aus den Augen war,
trat sie in ihre Höhle; und sie nahm aus einer Lade von geschnitzter Zeder
einen Spiegel und stellte ihn auf einen Balken, und auf glühenden
Holzkohlen verbrannte sie davor Eisenkraut und spähte durch das Gekringel
des Rauchs. Und nach einer Weile ballte sie die Hände im Zorn. »Mein hätte
er werden müssen«, murmelte sie heiser. »Ich bin so schön wie sie.« Und
diesen Abend, als der Mond aufgegangen war, stieg der junge Fischer hinauf
zum Gipfel des Berges und stellte sich unter die Äste der Hainbuche. Wie
ein Schild von blankem Metall lag das Rund des Meeres zu seinen Füßen, und
die Schatten der Fischerboote trieben in der kleinen Bucht. Eine große
Eule mit gelben, schwefeligen Augen rief ihn beim Namen, aber er gab ihr
keine Antwort. Ein schwarzer Hund lief auf ihn zu und knurrte. Er schlug
ihn mit einer Weidenrute, und jaulend lief der Hund weg. »Wo ist er, wo ist er?« kreischten die Hexen, als sie sie sahen, aber sie
lachte nur und lief zur Hainbuche, nahm den Fischer an der Hand, führte
ihn hinaus ins Mondlicht und begann zu tanzen. Rundherum im Kreis
wirbelten sie, und die junge Hexe sprang so hoch, dass er die
scharlachroten Absätze ihrer Schuhe sehen konnte. Dann kam quer durch die
Tanzenden das Geräusch eines galoppierenden Pferdes, aber kein Pferd war
zu sehen, und er fürchtete sich. »Schneller«, rief die Hexe, und sie warf
ihre Arme um seinen Nacken, und ihr Atem war heiß auf seinem Gesicht.
»Schneller, schneller!« rief sie, und die Erde schien sich unter seinen
Füßen zu drehen, und sein Hirn trübte sich, und eine große Angst überfiel
ihn, wie vor Bösem, das ihn belauerte, und endlich gewahrte er, dass unter
dem Schatten eines Felsens eine Gestalt war, die zuvor nicht dort gewesen.
Es war ein Mann, gekleidet in ein Gewand aus schwarzem Samt, nach
spanischer Mode geschnitten. Sein Gesicht war seltsam bleich, aber seine
Lippen waren wie eine stolze rote Blume. Er schien müde, lehnte sich
zurück und tändelte achtlos mit dem Knauf seines Dolches. Im Gras neben
ihm lagen ein Federhut und ein Paar Reithandschuhe, mit vergoldeten
Schnüren besetzt und mit Staubperlen bestickt, die sich zu einem
wunderlichen Muster fügten. Ein kurzer, mit Zobel gesäumter Umhang hing
von seiner Schulter, und seine feinen weißen Hände waren mit Ringen
besetzt. Schwere Lider senkten sich über seine Augen. Plötzlich bellte ein Hund im Wald, und die Tänzer hielten inne und gingen
in Paaren hin, knieten nieder und küssten des Mannes Hände. Als sie dies
taten, berührte der Anflug eines Lächelns seine stolzen Lippen, wie eines
Vogels Schwinge das Wasser berührt, dass es sich lachend kräuselt. Doch lag
Verachtung darin. Noch immer war sein Blick auf den jungen Fischer
gerichtet. »Komm! Lass uns anbeten«, raunte die Hexe, und sie führte ihn
hin, und eine große Begierde erfasste ihn, zu tun, was sie verlangte, und
er folgte ihr. Doch als er nahe heran war, schlug er, ohne zu wissen
warum, auf seiner Brust das Zeichen des Kreuzes und sprach den heiligen
Namen aus. Kaum hatte er das getan, so kreischten die Hexen auf wie Falken
und flogen hinweg, und das bleiche Gesicht, das ihn angeblickt, zuckte in
einem Schmerzenskrampf. Der Mann schritt hinüber zu einem kleinen Gehölz
und pfiff. Ein kleines spanisches Pferd mit silbernem Geschirr kam ihm
entgegengetrabt. Als er sich in den Sattel schwang, wandte er sich um und
blickte den jungen Fischer traurig an.
Und die Hexe mit den roten Haaren versuchte ebenfalls wegzufliegen, aber
der Fischer packte sie bei den Handgelenken und hielt sie fest. »Gib mich
frei«, rief sie, »und lass mich gehen. Denn du hast ausgesprochen, was
nicht ausgesprochen werden soll, und jenes Zeichen gezeigt, das nicht
erblickt werden darf.« »Wozu soll mir das dienen?« fragte er verwundert. Eine kleine Weile schwieg sie, und ein Ausdruck des Entsetzens flog über ihr Gesicht. Dann strich sie ihr Haar aus der Stirn zurück, lächelte ihn seltsam an und sagte: »Was die Menschen den Schatten des Leibes nennen, ist nicht der Schatten des Leibes, sondern der Leib der Seele. Stelle dich ans Ufer des Meeres mit dem Rücken zum Mond und schneide rund um deine Füße deinen Schatten weg, der der Leib deiner Seele ist, und heiß deine Seele, dich zu verlassen, und sie wird es tun.« Der junge Fischer zitterte. »Ist das wahr?« murmelte er. »Es ist wahr, und ich wollte, ich hätte es dir nicht gesagt«, rief sie und umfasste weinend seine Knie. Er schob sie von sich und ließ sie im üppigen Gras, trat an des Gipfels Rand, steckte das Messer in seinen Gürtel und begann hinabzusteigen. Und seine Seele, die in ihm war, rief heraus zu ihm und sprach: »Siehe! Alle diese Jahre habe ich bei dir gewohnt und war deine Dienerin. Sende mich jetzt nicht von dir; denn was habe ich dir Übles getan?« Und der junge Fischer lachte. »Du hast mir nichts Übles getan, aber ich brauche dich nicht«, antwortete er. »Die Welt ist weit, und da sind der Himmel und auch die Hölle und jenes trübe, dämmrige Haus, das zwischen beiden liegt. Gehe, wohin du willst, aber belästige mich nicht, denn meine Liebste ruft nach mir.« Seine Seele beschwor ihn flehentlich, aber er achtete ihrer nicht, sondern sprang wie eine wilde Ziege mit sicherem Fuß von Klippe zu Klippe, und endlich erreichte er ebenen Grund und das gelbe Gestade des Meeres. Mit bronzenen Gliedern und anmutiger Gestalt, gleich einer von den
Griechen geformten Statue, stand er am Strand, den Rücken zum Mond
gekehrt, und aus dem Gischt hoben sich weiße Arme, die ihm zuwinkten, und
aus den Wogen erhoben sich Nebelgestalten, die ihm huldigten. Vor ihm lag
sein Schatten, der der Leib seiner Seele war, und hinter ihm hing der Mond
in der honigfarbenen Luft. Und seine Seele sprach zu ihm: »Wenn du mich
denn wirklich von dir treiben musst, so sende mich nicht ohne Herz fort.
Die Welt ist grausam, gib mir dein Herz, dass ich es mitnehmen kann.«
Er schüttelte seinen Kopf und lächelte. »Womit sollte ich meine Liebste
lieben, wenn ich dir mein Herz gäbe?« rief er.
»Ach, habe Erbarmen mit mir«, bat die Seele. »Gib mir dein Herz, denn die
Welt ist sehr grausam, und ich fürchte mich.« »Mein Herz gehört meiner
Liebsten«, antwortete er» »daher verweile nicht» sondern gehe mir aus den
Augen.« Als ein Jahr vorüber war, kam die
Seele herab ans Gestade des Meeres und rief den jungen Fischer, und er
stieg empor aus der Tiefe und sagte: »Weshalb rufst du mich?« Und die
Seele antwortete: »Komm näher, auf dass ich mit dir rede, denn ich habe
wunderbare Dinge gesehen.«
Da kam er näher und lagerte sich im seichten Wasser, stützte den Kopf in
die Hand und lauschte. Und die Seele sagte zu ihm: »Als ich dich verlassen
hatte, wandte ich mein Antlitz nach Osten und wanderte. Aus dem Osten
kommt alles, was weise ist. Sechs Tage wanderte ich, und am Morgen des
siebenten Tages gelangte ich an einen Hügel, der im Land der Tataren
liegt. Im Schatten eines Tamariskenbaumes setzte ich mich nieder, um
Schutz vor der Sonne zu suchen. Das Land war dürr und ganz versengt von
der Hitze. Menschen bewegten sich auf der Ebene hin und her wie Fliegen,
die über eine blanke Kupferscheibe kriechen. Zur Mittagsstunde erhob sich
am flachen Horizont des Landes eine Wolke von rotem Staub. Als die Tataren
sie gewahrten, spannten sie ihre bemalten Bogen, schwangen sich auf ihre
kleinen Pferde und jagten ihr entgegen. Kreischend flohen die Weiber zu
den Wagen und versteckten sich hinter Vorhängen aus Fellen. Im vierten Monat erreichten wir die Stadt Illel. Es war Nacht, als wir bei
dem Hain anlangten, der außerhalb ihrer Mauern liegt, und die Luft war
schwül, denn der Mond stand im Zeichen des Skorpions. Wir pflückten die
reifen Granatäpfel von den Bäumen und brachen sie auf und tranken ihren
süßen Saft. Dann legten wir uns nieder auf unsere Teppiche und warteten
auf die Morgendämmerung.
Und in der Morgendämmerung erhoben wir uns und klopften ans Tor der Stadt.
Es war aus roter Bronze geschmiedet und mit Seedrachen und Drachen, die
Flügel haben, ziseliert. Die Wächter blickten von ihren Zinnen herab und
fragten nach unserem Begehr. Der Dolmetscher der Karawane erwiderte, wir
kämen mit viel Ware von der Insel Syrien.
Sie nahmen Geiseln und sagten, sie wollten zu Mittag das Tor für uns
öffnen, und hießen uns bis dahin warten. Am ersten Tag kamen die Priester und tauschten mit uns, und am zweiten Tag kamen die Vornehmen, und am dritten Tag kamen die Handwerker und die Sklaven. Und so ist es bei ihnen Brauch mit allen Kaufleuten, solange sie in ihrer Stadt weilen. Und wir verweilten einen Mond lang, und als der Mond im Abnehmen war, wurde ich des Treibens müde und wanderte durch die Straßen der Stadt und gelangte zum Hain ihres Gottes. Schweigend wandelten die Priester in ihren gelben Gewändern dahin unter den grünen Bäumen, und auf einem Pflaster aus schwarzem Marmor erhob sich das rosenrote Haus, in dem der Gott seine Wohnung hatte. Seine Tore waren mit gestäubtem Lack bedeckt, und in erhabener Arbeit prangten darauf Stiere und Pfaue aus glänzendem Gold. Das Dach deckten Ziegel von meergrünem Porzellan, und die vorspringenden Traufen waren mit Glöckchen behangen. Wenn die weißen Tauben vorüber flogen, schlugen sie mit ihren Flügeln an die Glöckchen und ließen sie klingeln. Vor dem Tempel war ein Teich von klarem Wasser, mit geädertem Onyx gepflastert. Ich legte mich daneben hin, und mit meinen bleichen Fingern berührte ich die breiten Blätter. Einer der Priester kam auf mich zu und blieb hinter mir stehen. An den Füßen hatte er Sandalen, eine aus weicher Schlangenhaut, die andere aus Vogelgefieder. Auf seinem Kopf trug er eine Mitra aus schwarzem Filz, geschmückt mit silbernen Mondsicheln. In siebenfältigem Gelb war sein Gewand gewoben, und sein gekräuseltes Haar war mit Antimon gefärbt. Und nach einer kleinen Weile redete er mich an und fragte mich nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, mein Begehren wäre, den Gott zu sehen. »Der Gott ist auf der Jagd
«, sprach der Priester und blickte mich mit
seinen schmalen, schrägen Augen seltsam an. Ich sprach zu dem Priester: »Wo ist der Gott?« Und er antwortete mir: »Es gibt keinen Gott außer diesem Spiegel, den du siehst, denn dies ist der Spiegel der Weisheit. Und er spiegelt alle Dinge wider, die im Himmel und auf Erden sind, ausgenommen allein das Antlitz dessen, der in ihn hineinblickt. Dies allein spiegelt er nicht wider, auf dass er, der hineinblickt, weise sei. Viele andere Spiegel sind hier, doch sie sind nur Spiegel der Meinungen. Dieser allein ist der Spiegel der Weisheit. Und die diesen Spiegel besitzen, sind allwissend, und nichts bleibt ihnen verborgen. Und die ihn nicht besitzen, haben auch keine Weisheit. Deshalb ist er der Gott, und wir beten ihn an.« Und ich blickte in den Spiegel, und es war, wie er mir gesagt hatte. Und ich tat etwas Seltsames; doch was es war, ist nicht wichtig, denn in einem Tal, nur eine Tagesreise von hier, habe ich den Spiegel der Weisheit verborgen. Lass mich nur wieder in dich ein und dein Diener sein, und du sollst weiser sein als alle Weisen, und alle Weisheit soll dein sein. Lass mich nur wieder in dich eingehen, und keiner wird so weise sein wie du.« Aber der junge Fischer lachte. »Liebe ist besser als Weisheit«, rief er, »und die kleine Meerjungfrau liebt mich.« »Nein, nichts ist besser als Weisheit«, sagte die Seele. »Die Liebe ist besser«, antwortete der junge Fischer und tauchte hinab in die Tiefe, und die Seele ging weinend weg über die Marschen davon. Als
das zweite Jahr vorüber war, kam die Seele herab ans Gestade des Meeres
und rief den jungen Fischer, und er stieg empor aus der Tiefe und sagte:
»Was rufst du mich?« Und die Seele antwortete: »Komm näher, auf dass ich
mit dir rede, denn ich habe wunderbare Dinge gesehen.«
Da kam er näher und lagerte sich im seichten Wasser und stützte den Kopf
in die Hand und lauschte.
Und die Seele sagte zu ihm: »Als ich dich verließ, wandte ich mein Antlitz
nach Süden und wanderte. Aus dem Süden kommt alles, was kostbar ist. Sechs
Tage wanderte ich über die Landstraßen, die zu der Stadt Aschter führen,
über die staubigen, rötlichen Landstraßen wanderte ich, wo die Pilger
ziehen, und am Morgen des siebenten Tages erhob ich meine Augen, und
siehe! die Stadt lag zu meinen Füßen, denn sie liegt in einem Tal. Neun
Tore führen in diese Stadt, und vor jedem Tor steht ein bronzenes Ross, das
wiehert, wenn die Beduinen niedersteigen von den Bergen. Die Mauern sind
mit Kupfer gepanzert, die Wachttürme auf den Wällen mit Messing überdacht.
In jedem Turm steht ein Bogenschütze mit einem Bogen in der Hand. Bei
Sonnenuntergang stößt er in ein hürnenes Horn. Eines Abends begegnete ich Negern, die eine schwere Sänfte durch den Basar
trugen. Sie war aus vergoldetem Bambus gemacht, und die Tragstangen waren
aus zinnoberrotem Lack, mit Pfauen aus Messing beschlagen. Vor den
Fenstern hingen dünne Vorhänge aus Musselin, bestickt mit Käferflügeln und
feinen Staubperlen, und als die Sänfte vorüberzog, sah eine bleiche
Zirkassierin heraus und lächelte mir zu. Ich folgte der Sänfte, und die
Neger blickten finster und beschleunigten ihre Schritte. Doch das kümmerte
mich nicht. Ich fühlte, wie eine große Neugier über mich kam. Wahrlich, du hättest mit mir sein sollen. Beim Fest des Neuen Mondes trat
der junge Kaiser heraus aus seinem Palast und ging in die Moschee, um zu
beten. Sein Haar und Bart waren mit Rosenblättern gefärbt, und seine
Wangen mit feinem Goldstaub gepudert. Die Flächen seiner Füße und Hände
waren gelb von Safran. Bei Sonnenaufgang schritt er heraus aus seinem
Palast in einem Gewand aus Silber, und bei Sonnenuntergang kehrte er in
einem Gewand aus Gold dahin zurück. Das Volk warf sich auf die Erde und
verbarg sein Gesicht, aber ich verhielt mich nicht ebenso. Ich stand neben
der Bude eines Dattelverkäufers und wartete. Als der Kaiser mich
erblickte, hob er seine bemalten Brauen und hielt an. Ich stand ganz ruhig
und erwies ihm keine Huldigung. Die Leute erstaunten über meine
Verwegenheit und rieten mir, aus der Stadt zu fliehen. Ich beachtete sie
nicht, sondern ging hin und setzte mich zu den Verkäufern fremder Götter,
die man um ihres Gewerbes willen verabscheut. Als ich ihnen erzählte, was
ich getan hatte, gab mir jeder von ihnen einen Gott und bat mich, sie zu
verlassen. Diese Nacht, da ich in dem Teehaus in der Straße der
Granatäpfel auf einem Kissen lag, traten des Kaisers Wachen ein und
führten mich zum Palast. Als ich eintrat, schlossen sie jedes Tor hinter
mir zu und legten eine Kette davor. Drinnen war ein großer Hof, um den ein
Arkadengang lief. Die Mauern waren aus weißem Alabaster, hier und dort mit
blauen und grünen Ziegeln eingelegt. Die Pfeiler waren aus grünem Marmor,
das Pflaster aus Marmor in der Farbe von Pfirsichblüten. Nie zuvor hatte
ich Ähnliches gesehen. Da ich über den Hof ging, sahen zwei verschleierte
Frauen von einem Balkon herab und verwünschten mich. Die Wachen hasteten
vorwärts, und die Schäfte ihrer Lanzen hallten auf dem blanken Boden. Sie
öffneten ein Tor aus geschnitztem Elfenbein, und ich fand mich in einem wohlbewässerten, in sieben Terrassen ansteigenden Garten. Er war bepflanzt
mit Tulpen und Mondblumen und silberdurchwirkten Aloen. Wie ein schlankes
Schilfrohr aus Kristall hing ein Springbrunnen in der schwärzlichen Luft.
Die Zypressen glichen ausgebrannten Fackeln. Auf einer von ihnen sang eine
Nachtigall. Der junge Kaiser ruhte ausgestreckt auf einem Lager aus gegerbten
Löwenfellen, und ein Gerfalke hockte auf seinem Handgelenk. Hinter ihm
stand ein Nubier mit einem Turban aus Messing, nackt bis zu den Hüften und
mit schweren Ohrringen in seinen gespaltenen Ohren. Auf einem Tisch neben
dem Ruhebett lag ein mächtiger Türkensäbel aus Stahl. Kaum war er tot, wandte sich der Kaiser zu mir, und nachdem er mit einem kleinen Mundtuch aus bestickter purpurfarbener Seide sich den glänzenden Schweiß von der Stirn gewischt hatte, sprach er: »Bist du ein Prophet, dass ich dir kein Leid tun kann, oder der Sohn eines Propheten, dass ich dich nicht zu verwunden vermag? Ich bitte dich, verlass meine Stadt noch diese Nacht, denn solange du in ihr weilst, bin ich nicht länger ihr Herr.« Und ich antwortete ihm: »Um die Hälfte deines Schatzes will ich gehen. Gib mir die Hälfte deines Schatzes, und ich will von hinnen ziehen.« Er nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus in den Garten. Als der Hauptmann der Garde mich sah, erstaunte er sehr. Als die Eunuchen mich erblickten, schlotterten ihre Knie, und sie fielen in Furcht zu Boden. Im Palast gibt es eine Kammer mit acht Wänden aus rotem Porphyr und einer messinggeschuppten Decke, die mit Lampen behangen ist. Der Kaiser berührte eine der Wände, und sie öffnete sich, und wir schritten einen Gang hinunter, der von vielen Fackeln erhellt war. In den Nischen zur Linken und zur Rechten standen große Weinkrüge, bis zum Rand gefüllt mit Silberstücken. Als wir die Mitte des Ganges erreicht hatten, sprach der Kaiser das Wort aus, das nicht genannt werden darf, und von einer geheimen Feder bewegt, sprang eine granitene Tür auf, und er legte die Hände vor das Gesicht, dass seine Augen nicht geblendet würden. Du kannst nicht ermessen, was dieser für ein herrlicher Ort war. Da waren ungeheure Schildkrötenschalen voll mit Perlen, und gehöhlte Mondsteine von seltener Größe, überhäuft von roten Rubinen. In Koffern aus Elefantenhaut war das Gold gelagert und der Goldstaub in ledernen Flaschen. Da waren Opale und Saphire, jene in Schalen von Kristall, diese in Schalen von Jade. Runde grüne Smaragde reihten sich auf feinen Platten von Elfenbein, und in einer Ecke lehnten seidene Beutel, die einen gefüllt mit Türkisen, die anderen mit Beryllen. Aus Füllhörnern von Elfenbein quollen purpurfarbene Amethyste, aus Füllhörnern von Messing Chalzedone und Karneole. Die Pfeiler aus Zedernholz waren mit Schnüren von gelben Luchssteinen behangen. In flachen, ovalen Schilden lagen Karfunkel, weinfarbene und solche von der Farbe des Grases. Und doch habe ich dir erst ein Zehntel von dem beschrieben, was dort war. Als der Kaiser die Hände vom Gesicht genommen hatte, sprach er zu mir:
»Dies ist mein Schatzhaus, und die Hälfte von dem, was darin ist, sei
dein, wie ich es dir versprochen habe. Und ich will dir Kamele geben und
Kameltreiber, und sie sollen tun, wie du ihnen heißt, und deinen Teil des
Schatzes an jeden Ort der Welt bringen, wohin du auch ziehen möchtest. Und
das soll noch heute Nacht geschehen, denn ich will nicht, dass der Gott der
Sonne, der mein Vater ist, in meiner Stadt einen Mann erblickt, den ich
nicht töten kann.« Ich aber erwiderte ihm: »Das Gold, das hier ist, ist
dein, und auch das Silber ist dein, und dein sind die kostbaren Juwelen
und die wertvollen Dinge. Denn ich selber bedarf ihrer nicht. Nichts will
ich von dir nehmen als den kleinen Ring, den du am Finger deiner Hand
trägst. « Der Kaiser runzelte die Stirn. »Es ist nur ein Ring aus Blei«, rief
er, »und er hat keinen Wert. Nimm deshalb die Hälfte meines Schatzes und
gehe aus meiner Stadt.« »Nein«, antwortete ich, »ich will nichts nehmen
als nur diesen Ring aus Blei, denn ich weiß, was darin geschrieben steht
und zu welchem Zweck.« Sie gingen also hinein und wanderten durch die Straßen, und als sie durch
die Straße der Juweliere kamen, sah der junge Fischer eine schöne
Silberschale in einer Bude ausgestellt. Und seine Seele sprach zu ihm:
»Nimm diese Silberschale und verbirg sie.«
Da nahm er die Schale und verbarg sie in den Falten seiner Tunika, und sie
verließen eilends die Stadt.
Und nachdem sie sich eine Wegstunde von der Stadt entfernt hatten,
runzelte der junge Fischer die Stirn und schleuderte die Schale von sich
und sprach zu seiner Seele: »Warum hießest du mich, diese Schale zu nehmen
und zu verbergen, da dies doch übel gehandelt war?«
Aber seine Seele erwiderte ihm: »Sei ruhig, sei ruhig!« Und am Abend des dritten Tages kamen sie zu einer Stadt, und der junge
Fischer sprach zu seiner Seele: »Ist das die Stadt, in der sie tanzt, von
der du mir gesagt hast?«
Und seine Seele antwortete ihm: »Es kann sein, dass es diese Stadt ist,
lass
uns hineingehen.« Also betraten sie die Stadt und wanderten durch die
Straßen, aber nirgends konnte der junge Fischer den Fluß finden, noch die
Schenke, die an seinem Ufer stand. Und die Bewohner der Stadt blickten ihn
neugierig an, und er begann, sich zu fürchten, und sprach zu seiner Seele:
»Lass uns weiterziehen, denn sie, die mit weißen Füßen tanzt, ist nicht
hier.«
Doch seine Seele versetzte: »Nein, lass uns noch verweilen, denn die Nacht
ist finster, und es werden Räuber auf dem Weg sein.« Da setzte er sich hin
auf den Marktplatz und rastete, und nach einer Weile kam ein Kaufmann
vorüber, der sich in einen Umhang aus Tatarentuch gehüllt hatte und auf
der Spitze eines knotigen Rohres eine Laterne trug, die aus durchbrochenem
Hörn war. Und der Kaufmann sprach zu ihm: »Was sitzest du hier auf dem
Marktplatz, da die Buden geschlossen und die Ballen verschnürt sind?«
Und der junge Fischer antwortete ihm: »Ich kann keine Herberge finden in
dieser Stadt, noch habe ich Vetter oder Bruder, der mir Obdach gäbe.«
»Sind wir nicht alle Brüder?« versetzte der Kaufmann. »Hat nicht ein Gott
uns alle geschaffen? Daher komme mit mir, denn ich habe Raum für einen
Gast.« Als sie sich eine Wegstunde von der Stadt entfernt hatten, da schlug sich der junge Fischer an die Brust und sprach zu seiner Seele: »Warum hießest du mich den Händler schlagen und sein Gold stehlen? Wahrlich, du bist von Übel.« Aber seine Seele erwiderte ihm: »Sei ruhig, sei ruhig.« »Nein«, rief der junge Fischer, »ich will nicht ruhig sein, denn ich hasse alles, was du mich tun ließest. Auch dich hasse ich, und ich bitte dich, mir zu sagen, warum du so mit mir umgehst.« Und seine Seele gab ihm zur Antwort: »Als du mich in die Welt hinaus stießest, gabst du mir kein Herz; so lernte ich alle diese Dinge tun und mich daran erfreuen.« »Was sagst du da?« murmelte der junge Fischer. »Du weißt es«, versetzte seine Seele, »du weißt es wohl. Hast du vergessen, dass du mir kein Herz gabst? Ich glaube kaum. Und nun quäle weder dich selber noch mich, sondern sei ruhig, denn da ist kein Schmerz, den du nicht geben, noch ein Vergnügen, das du nicht empfangen sollst.« Und als der junge Fischer diese Worte hörte, zitterte er und sagte zu seiner Seele: »Nein, du bist von Übel, hast mich meine Liebste vergessen lassen, mich mit Versuchungen versucht und meinen Fuß den Pfad der Sünde geführt.« Und seine Seele antwortete ihm: »Du hast es nicht vergessen, dass du mir kein Herz gabst, als du mich in die Welt hinaus sandtest. Komm, lass uns in eine andere Stadt ziehen und lustig sein, denn wir haben neun Börsen voll Gold.« Aber der junge Fischer nahm die neun Börsen voll Gold und warf sie auf die Erde und trat sie unter seine Füße. »Nein«, rief er, »nein, ich will nichts mit dir zu schaffen haben, noch
will ich irgendwohin mit dir gehen; sondern wie ich dich zuvor von mir
stieß, also will ich dich auch jetzt verstoßen, denn du hast mir nichts
als Unheil gebracht.« Und er wandte seinen Rücken dem Mond zu, und mit dem
kleinen Messer, dessen Griff aus grüner Natternhaut war, versuchte er, von
seinen Füßen jenen Schatten des Leibes wegzuschneiden, der der Leib der
Seele ist.
Doch seine Seele wich nicht von ihm, noch achtete sie seines Gebotes,
sondern sprach zu ihm: »Der Zauber, den die Hexe dich lehrte, hilft dir
nichts mehr, denn ich kann dich nicht verlassen, noch kannst du mich von
hinnen senden. Einmal in seinem Leben kann der Mensch seine Seele
fort senden, aber der seine Seele wieder bei sich aufnimmt, muss sie von
nun an bei sich behalten, und das ist seine Strafe und sein Lohn.« Und der
junge Fischer erbleichte und ballte die Hände und schrie: »Sie war eine
falsche Hexe, dass sie mir das nicht gesagt hat.« »Das war sie nicht«,
antwortete seine Seele, »sie war nur Ihm treu, den sie anbetet und dessen
Magd sie immer sein wird.«
Und da nun der junge Fischer wusste, dass er seine Seele nie wieder
loswerden konnte und dass sie eine böse Seele war und immer bei ihm wohnen
würde, da fiel er zu Boden und weinte bitterlich. Und als er das Gestade des Meeres erreicht hatte, da löste er den Strick von seinen Händen und nahm das Siegel des Schweigens von seinen Lippen und rief nach der kleinen Meerjungfrau. Aber sie kam nicht auf seinen Ruf, obwohl er den ganzen Tag nach ihr rief und flehte. Und seine Seele verhöhnte ihn und sprach: »Du hast wahrlich nicht viel Freude an deiner Liebe. Du bist wie einer, der zur Zeit der Dürre Wasser schöpft mit einem zerbrochenen Gefäß. Du gibst hin, was du hast, und nichts wird dir dafür gegeben. Es wäre besser für dich, du kämst mit mir, denn ich weiß, wo das Tal der Lust liegt und welche Dinge dort getan werden.« Aber der junge Fischer gab seiner Seele keine Antwort, sondern baute sich in einer Felsenkluft eine Hütte aus Flechtwerk und verweilte hier ein volles Jahr. Und jeden Morgen rief er nach der Meerjungfrau, und jeden Mittag rief er wieder nach ihr, und am Abend nannte er ihren Namen. Doch niemals stieg sie herauf aus der See, um ihn zu sehen, und an keinem Ort des Meeres konnte er sie finden, obgleich er in den Höhlen und im grünen Wasser nach ihr suchte, in den Wassern der Gezeiten und in den Brunnen am Grund des Meeres. Und immer wieder versuchte ihn seine Seele mit Übel und raunte ihm von grässlichen Dingen. Doch sie vermochte damit bei ihm nichts, so groß war die Macht seiner Liebe. Als das Jahr vorüber war, da dachte die Seele in ihm: »Ich habe meinen Herrn mit Übel versucht, und seine Liebe ist stärker als ich. Nun will ich ihn mit Gutem versuchen, und es mag sein, dass er dann mit mir kommt.« So redete sie also den jungen Fischer an und sprach: »Ich habe dir von den Freuden der Welt erzählt, und du hast mir ein taubes Ohr geliehen. Lass mich dir nun vom Leid der Welt berichten, vielleicht dass du mir Gehör gibst. Denn das Leid ist in Wahrheit Herr dieser Welt, und keiner ist, der seinem Netz entschlüpft. Den einen fehlt es an Kleidern, den anderen an Brot. Witwen gibt es, die schreiten in Purpur einher, und andere, die gehen in Fetzen. Hin und her auf den Mooren gehen die Aussätzigen, und sie sind grausam gegeneinander. Die Bettler ziehen die Landstraßen auf und ab, und ihre Ranzen sind leer. Durch die Straßen der Stadt schleicht die Hungersnot, und vor ihren Toren hockt die Pest. Komm, lass uns hingehen und den Jammer lindern und dem Elend abhelfen. Was sollst du hier verweilen und nach deiner Liebsten rufen, da sie doch nicht kommt auf deinen Ruf? Und was ist die Liebe, dass du ihr so hohen Wert zuerkennst?« Aber der junge Fischer gab ihr keine Antwort, so groß war die Macht seiner Liebe. Und jeden Morgen rief er nach der Meerjungfrau, und jeden Mittag rief er wieder nach ihr, und am Abend nannte er ihren Namen. Doch niemals stieg sie herauf aus der See, um ihn zu sehen, und an keinem Ort des Meeres konnte er sie finden, obgleich er nach ihr suchte in den Strömen der See und in den Tälern, die unter den Wogen sind, im Meer, das die Nacht purpurn färbt, und im Meer, das die Morgendämmerung grau hinter sich lässt. Und als das zweite Jahr vorüber war, sprach die Seele des Nachts zu dem
jungen Fischer, da er allein saß in seiner Hütte aus Flechtwerk: »Siehe!
Nun habe ich dich mit Bösem versucht, und ich habe dich mit Gutem
versucht, und deine Liebe ist stärker als ich. Ich will dich deshalb nicht
länger versuchen, sondern dich bitten, du mögest mich einlassen in dein
Herz, auf dass ich eins werde mit dir wie zuvor.«
»Du bist in meinem Herzen willkommen«, erwiderte der junge Fischer. »Denn
in den Tagen, da du ohne Herz durch die Welt gingst, magst du wohl viel
gelitten haben.« »Ach!« rief die Seele, »ich kann keine Stelle für einen
Eingang finden, so ganz umschlossen von Liebe ist dein Herz.«
»Und doch wollte ich, ich könnte dir helfen«, antwortete der junge
Fischer. Die schwarze See kam näher, und der weiße Schaum ächzte wie ein Aussätziger. Mit weißen Tatzen aus Schaum griff die See ans Ufer. Aus dem Palast des Meerkönigs kam wieder der Schrei der Trauer, und weit draußen auf dem Meer bliesen die großen Tritonen heiser auf ihren Hörnern. »Flieh hinweg«, sprach seine Seele, »denn siehe, näher und näher rollt die See, und wenn du säumst, wird sie dich verderben. Fliehe, denn ich fürchte mich, weil deiner großen Liebe wegen dein Herz vor mir verschlossen ist. Flieh hinweg an einen sicheren Ort. Du willst mich doch nicht ohne Herz in eine andere Welt senden wollen?« Aber der junge Fischer hörte nicht auf seine Seele, sondern rief die kleine Meerjungfrau an und sprach: »Liebe ist besser als Weisheit und kostbarer als Reichtum und schöner als die Füße der Menschentöchter. Feuer kann sie nicht zerstören, noch Wasser sie löschen. In der Morgendämmerung rief ich dich, und du kamst nicht auf meinen Ruf. Der Mond hörte deinen Namen, doch du schenktest mir kein Gehör. Zum Bösen hatte ich dich verlassen, und zu meinem eigenen Schmerze war ich fort gegangen. Jedoch immer war deine Liebe bei mir, und immer war sie stark, und nichts kam gegen sie auf, ob ich auf Übles sah oder auf Gutes. Und nun, da du tot bist, nun will ich wahrlich mit dir sterben.« Und seine Seele beschwor ihn, aufzubrechen, aber er wollte nicht, so groß war seine Liebe. Und die See kam näher und suchte ihn mit ihren Wogen zu bedecken, und als er sah, dass das Ende nahe war, küsste er mit irren Lippen die kalten Lippen der Meerjungfrau, und sein Herz brach, da fand die Seele einen Eingang und ging hinein und war eins mit ihm wie zuvor. Und die See bedeckte den jungen Fischer mit ihren Wogen. Am Morgen ging der Priester hinaus, um das Meer zu segnen, denn es war stürmisch gewesen. Und mit ihm gingen die Mönche und die Musikanten und die Kerzenträger und die Weihrauchschwinger und eine große Gesellschaft. Und als der Priester das Ufer erreichte, da sah er den jungen Fischer ertrunken in der Brandung liegen, und in seinen Armen lag der Leib der kleinen Meerjungfrau. Und erzürnt wandte er sich ab und machte das Zeichen des Kreuzes und rief laut und sprach: »Ich will das Meer nicht segnen, noch irgend etwas, das darin ist. Verflucht sei das Meervolk und verflucht seien alle, die mit ihm Umgang treiben. Und was ihn anlangt, der um der Liebe willen Gott verließ und hier liegt mit seiner Buhle, erschlagen von Gottes Urteil - nehmt auf seinen Leichnam und den Leichnam seiner Buhle und begrabt sie in der Ecke des Schindangers und setzt kein Mal darauf, noch ein Zeichen von irgendeiner Art, auf dass keiner den Ort ihrer Ruhe wisse. Denn verflucht waren sie zu ihren Lebzeiten, und verflucht sollen sie auch in ihrem Tode sein.« Und die Leute taten, wie er sie geheißen, und in der Ecke des Schindangers, wo keine süßen Kräuter wachsen, gruben sie eine tiefe Grube und legten die toten Leiber hinein. Als das dritte Jahr vorüber war, an einem Tag, der ein heiliger Tag
war, ging der Priester hinauf zur Kapelle, dass er dem Volk die Wunden des
Herrn zeige und zu ihnen spreche von Gottes Zorn. Und als er, in seine
Gewänder gekleidet, eintrat und sich vor dem Altar neigte, da sah er, dass
der Altar mit fremdartigen Blumen bedeckt war, wie man sie niemals zuvor
gesehen hatte. Seltsam waren sie anzuschauen und von eigenartiger
Schönheit, und ihre Schönheit verwirrte ihn, und ihr Duft war süß in
seiner Nase, und er war froh und wusste nicht, warum.
Und als er den Tabernakel geöffnet und die Monstranz darin beweihräuchert
und die schöne Hostie dem Volk gezeigt und sie wieder hinter dem Schleier
der Schleier verborgen hatte, begann er, zum Volk zu sprechen, und er
wollte ihm sagen von Gottes Zorn. Aber die Schönheit der weißen Blumen
verwirrte ihn, und ihr Duft war süß in seiner Nase, und ein anderes Wort
kam auf seine Lippen, und er sprach nicht von Gottes Zorn, sondern von dem
Gott, dessen Name Liebe heißt. Und warum er so sprach, wusste er nicht. Und
als er seine Predigt geendet hatte, da weinten die Leute, und der Priester
ging zurück in seine Sakristei, und seine Augen waren voll Tränen. Und die
Diakone traten herein und begannen, ihn zu entkleiden, und nahmen ihm die
Alba und den Gürtel ab, die Manipel und die Stola. Und er stand da wie im
Traum.
Und da sie ihm die Kleider abgenommen hatten, blickte er sie an und
sprach: »Was sind das für Blumen, die auf dem Altar stehen, und woher
kommen sie?« Am Morgen, da es noch dämmerte, ging er hinaus mit den Mönchen und den Musikanten, den Kerzenträgern und den Weihrauchschwingern und einer großen Gesellschaft und gelangte ans Gestade des Meeres und segnete das Meer und alle die wilden Geschöpfe, die darin sind. Auch die Faune segnete er und die kleinen Geschöpfe, die im Wald tanzen, und die Wesen mit den glänzenden Augen, die zwischen den Blättern herausspähen. Alle Lebewesen in Gottes Welt segnete er, und die Leute waren erfüllt von Freude und Staunen. Doch niemals wieder blühten in der Ecke des Schindangers Blumen von irgendeiner Art, sondern das Feld blieb unfruchtbar wie zuvor. Und auch das Meervolk kam nicht mehr in die Bucht wie früher, denn es zog in einen anderen Teil der See. Von Oscar Wilde (1831) |
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Auch nachzulesen in
Der Fischer und seine Seele |
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